Die letzte Ausgabe der Andromeda Post

  • Eines frühen Morgens kam Tholgrir wie gewohnt in sein Büro, setzte sich in seinen Ledersessel an seinen Schreibtisch und wendete sich der Post zu. Sein morgendliches Ritual bestand darin, zu allererst die Geschehnisse des letzten Tages zu verarbeiten und daher widmete er sich gerne vor seiner eigentlichen Arbeit der Andromeda Post, die wie jeden Morgen schon von seiner Sekretärin auf den Tisch gelegt worden war. Er nahm einen tiefen Zug seiner Zigarre und las voller entsetzen die Überschrift. In fetten Buchstaben hiess es auf der Titelseite: “Die Andromeda Post ist eine Geschichte. Eine Geschichte, die nun zu Ende ist.” Ihm graute. Wenn er auch nur eine vage Vermutung über den Inhalt dieses Artikels auf dem Titelblatt hatte, würde, sollte er recht behalten, sein doch so geliebtes Ritual ein Ende finden. Was bliebe ihm da noch? Seine Zigarre? Die würde doch nur halb so gut schmecken, ohne die Nachrichten über Gewalt und Schrecken in der Galaxis. Er las ehrfürchtig weiter:

    “Die Andromeda Post hat bereits bessere Tage erlebt und die wenigen Freiwilligen, die sie noch betreiben, sind alt und grau. Unsere unendliche Energie, die wir in die unzähligen Ausgaben gesteckt haben, wurde immer kleiner und kleiner. Und nun? Nun, schweren Herzens, müssen wir euch mitteilen, dass diese aufgebraucht ist. Wir haben uns daher entschieden, uns zur Ruhe zu setzen. Einen Nachfolger konnte trotz intensiver Suche keiner gefunden werden. Wer würde sich in der heutigen Zeit schon solch eine riesige Arbeit annehmen? Und daher ist es nun wie es ist. Dies nun die letzte Ausgabe der Andromeda Post. Wir danken euch, werte Leserschaft, stets für euer Interesse und euer Vertrauen in uns, sowie in die neusten Neuheiten der Galaxis. Möget ihr künftig anderweitig informiert bleiben. Eure Andromeda Post.”

    Tholgrir konnte es nicht fassen. Die Andromeda Post war doch schon immer ein Teil Geschichte gewesen. Sie war seit je her ein fest mit Andromeda verknüpftes Puzzle Stück, das zu dieser wilden Galaxie gehörte, wie der Topf zum Deckel. Und nun, ohne Vorankündigung, soll dieses Puzzle Stück nur noch in unserer Erinnerung weiterleben. Ein Stück Geschichte, dass nun Geschichte ist. Tholgrir kamen bei diesen Gedanken fast die Tränen. So konnte er seinen Arbeitstag nicht weiterführen. Er funkte Lulia an: “Lulia? Hast du gesehen? Die Andromeda Post ist Geschichte. Die heutige Ausgabe ist die letzte Ausgabe. Ich will mich betrinken und in Erinnerungen schwelgen, machst du mit?” Lulia liess nicht lange auf sich warten. Auch sie war von dieser Zeitung geprägt, denn ohne diese Zeitung hätte sie Tholgrir womöglich nie kennengelernt. Eigentlich hielt sie nie etwas von Partnervermittlungen, und doch hat sie damals auf ein Inserat in der Andromeda Post geantwortet und lernte somit Tholgrir kennen. Ihren grossen, ehrenhaften Krieger, den sie doch so sehr liebte. Und so erklang es traurig aus dem Funk: “Natürlich, Liebster, ich bin in einer halben Stunde da.”

    Die beiden fanden sich in Tholgrirs Stammkneipe ein und bestellten Schnaps. Nicht nur ein Glas, nein, die ganze Flasche. Ein Gläschen nach dem anderen wurde gefüllt und zügig geleert. Obwohl die beiden doch als ziemlich Trinkfest galten, kamen deren Körper mit der Geschwindigkeit, in der die beiden die Kurzen runter kippten, an ihre Grenzen. Zwischen dem siebenundzwanzigsten Shot und dem vierundreissigsten Bier, der einundachtzigsten Story und dem dreiundvierzigsten Witz der Ausgabe, na gut, vielleicht auch dem vierundvierzigsten Witz, das weiss niemand mehr so genau, geschah etwas, was die Rettung der Andromeda Post bedeuten würde. Lulia fragte Tholgrir, wo denn die Andromeda Post eigentlich gedruckt wurde. Tholgrir antwortete, er wisse es eigentlich gar nicht so genau. Vermutlich irgendwo im Sektor 2/2, die Andromeda Post habe nur ein Postfach, wo er jeweils Leserbriefe zu wichtigen politischen Themen eingesendet hatte. “Ho-oi weiss dies bestimmt! Der weiss alles.” meinte Tholgrir, zückte sein Smartphone und rief diesen an. “Mein lieber Scholli, du weisst das nicht? Was für ein lausiger Imperator bist denn du eigentlich, dass du nicht mal deine eigenen Planeten kennst?” erklang es aus dem Telefon. “Meine eigenen Planeten?” fragte Tholgrir lallend. “Seit je her hast du gleich neben der alten Druckerpresse für die Andromeda Post gelebt und sie nie bemerkt? Kam es dir nicht seltsam vor, dass es in deiner Residenz stets nach alter Druckerschwärze gerochen hat?” fragte Ho-oi. In der Tat roch es ständig so, doch Tholgrir ordnete den Geruch den vielen Büchern in seiner Bibliothek zu. Er liebte diesen Geruch, den Geruch des Wissens, den Geruch der freien Meinung und der Aufklärung. “Hinter meinem Haus sagst du?” fragte Tholgrir mit einem funkeln in den Augen. “Hinter dem Hügel, der neben deinem Haus steht.” bestätigte Ho-oi. Tholgrir legte das Telefonat auf und sprang auf. “Lulia, die Druckerpresse! Sie ist hier auf seos!” rief er. Lulia erhob sich ebenfalls, leerte den verbleibenden Kurzen in den Mund, nahm die halb volle Flasche Kräuterschnaps und folge Tholgrir zur Kneipe hinaus. Die beiden liefen so schnell sie nur konnten, oder zumindest versuchten sie es. Durch ihre schwankende Gangart legten sie beinahe doppelt so viel Weg zurück, wie sie es sonst hätten müssen. Sie wollten diesen geschichtsträchtigen Ort mit eigenen Augen sehen. Wie konnten sie nur so lange gleich neben der Druckerpresse leben und nichts davon mitbekommen?

    Bei der Druckerpresse angekommen standen die Beiden vor einer grossen Halle. Leere Fässer, vermutlich früher voll mit Druckerschwärze, standen neben dem Gebäude. Oberhalb des grossen Eingangstors stand in grossen Buchstaben “Heimat der Andromeda Post”. Ho-oi hatte also recht gehabt. Sie näherten sich dem Tor, das mit gelben Absperrband verschlossen wurde. An der Tür hing ein Zettel “Wir werden dich für immer vermissen, unsere geliebte Zeitung. Mögest du deinen Frieden finden und für immer ruhen.” Tholgrir riss hektisch die Absperrbänder weg und öffnete das stählerne Tor. Ein Schwall des geliebten Geruchs, den er zu Hause immer in seiner Bibliothek roch, kam ihm entgegen. Die beiden betraten die Halle, in dem uralte Druckmaschinen standen. “Unfassbar schön”, stotterte Lulia. In der Tat waren die Maschinen gut gepflegt und ragten vor ihnen Majestätisch in die Höhe. “Unfassbar traurig.” meinte Tholgrir. “Traurig, dass sie nie mehr drucken werden.” fügte er hinzu. “Tholgrir, mein Liebster, du hast schon so oft die Galaxie gerettet, sei es die Seuche der Zavijah Spionagesonden gewesen, die Geschichte mit der EGG-Cooperation, oder andere, unzählige Dinge, die du zu erzählen weisst. Meinst du nicht, es ist an der Zeit, noch einmal die Galaxis zu retten?” fragte Lulia. Tholgrir verstand nicht, was sie damit meinte. Lulia fuhr fort: “Du bist ein Schreiberling, oder hast du etwa die Briefe vergessen, die mich so in deinen Bann gezogen haben? Du bist ein Erzähler, oder hast du etwa die Geschichten vergessen, die du dem Volk von seos und deinen Freunden jeweils in den Kneipen erzählst? Du bist ein Abenteurer, oder hast du etwa vergessen, dass du jede noch so verrückte Idee immer sofort mit gemacht hast, ohne zu Hinterfragen, zu was sie führt? Was wäre wenn...” Tholgrir unterbrach sie: “Was wäre wenn wir die Andromeda Post weiterführen würden? Die Maschinen sind hier, die Texte sind schnell geschrieben, die Druckerschwärze wird kein Vermögen verschlingen. Eine unabhängige Zeitung für Andromeda, die Geschichte war, und doch Geschichte bleibt. Eine Geschichte, die nie zu Ende geht.” Und so war die Idee geboren. Die beiden gingen nach Hause. Trotz Trunkenheit legte sich Tholgrir aber nicht ins Bett. Er schloss sich in sein Büro ein und sammelte Fakten, Geschehnisse und Bilder zusammen und tippte bis spät in die Nacht hinein. Als Lulia längst eingeschlafen war, merkte Tholgrir, wie sehr es ihn fesselte. Das Feuer, welches er sonst nur bei Kämpfen in ihm verspürte, loderte wie wild. Als der letzte Beitrag fertig war, war nur noch eines übrig. Die Ausgaben Nummer.Er begann zu tippen. 47’932’3... Er stoppte, überlegte kurz und löschte die Versionsnummer wieder. Er begann mit einer völlig anderen, neuen Version der Andromeda Post. Einer neuen Zeitung, die nur aus geschichtsträchtigen Gründen den alten Namen trägt. So fuhr er fort und tippte nur eine einzige Zahl. Eine Eins. Das Blatt war vollendet. Er, stand auf, ging zur Druckerpresse und liess die Uralten Maschinen an. Diese druckten mit einer Harmonie aus lautem Getöse und mechanischer Präzision unzählige Ausgaben seines frisch geschaffenen Werkes. Die Andromeda Post, war wie viele andere Dinge zuvor, gerettet. Die Andromeda Post würde durch Ihn eine Zukunft haben. Die Andromeda Post, die jeden einzelnen Bewohner in Andromeda täglich beglückte, würde wiederkehren. Als die Arbeit getan war, ging er nach Hause, legte sich zu Lulia und schlief sofort ein.

    Am nächsten Morgen stand Tholgrir verkatert aber frohen Mutes auf. Er verliess wie jeden Morgen, seine Zigarre anzündend sein Haus und ging ins Büro. Er setzte sich an seinen Schreibtisch und begann, wie schon unzählige male zuvor, und auch wenn er den Inhalt bereits kannte, die Andromeda Post genüsslich und zufrieden zu lesen.

    Neue Andromeda Post lesen

    Anregungen, Ideen und Kritik wird sehr gerne angenommen und kann (nicht muss) in die Nächste Ausgabe einfliessen.

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    Alles kalter Kaffee......gab vor 20 Jahren auch schon.......nur nicht so schön zum Blättern.....


    Ne, Spass beiseite, schade dass es nur noch so wenig lesen können. Absolut geil gemacht die Zeitung, meinen Respekt dafür. Irgendwie seh ich mein Vermächtnis in dir, auch wenn das schwulstig klingt.

    Aber seitdem ich keine großen Epen mehr schreibe bist du der 1. der dieses Genre wieder aufleben läßt.

    Von der Mühe und der Zeit ganz zu schweigen.

    Danke dass du die "ganz alten Säcke" in Erinnerungen schwelgen lässt !! *bravo* *daumenhoch*


    Raffsack

    Ich bin dein Gott in dieser Welt. Ein Klick von mir und du bist Geschichte........
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    "Manchmal sieht man den Post vor lauter Buchstaben nicht" © by raffsack@yahoo.de

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