Kapitel 1 – Kein Jesus
Nein, ein Jesus war er nicht. Eine Entität, ja, eine Institution, fast eine Legende. Durch die unglaubliche, scheinbar seit Ewigkeiten währende Dominanz schien er unantastbar, nicht von dieser Welt. Aber hinter der Fassade, hinter dem Übernatürlichen, dem Phänomen, war ein simpler Mensch. Eine Singularität.
Trotzdem blieb keine Wahl, es musste so sein, es war der einzige passende Tag, der einzige, der Sinn ergab, Alternativen existierten nicht. Er musste sterben. An Karfreitag.
Zelos blickte in die Runde und vier Gesichter starrten zurück. Furcht war in keinem zu sehen, nur loyale Entschlossenheit. Jeder einzelne seiner Guardians wäre bereit gewesen für ihn sein Leben zu geben, doch so sah er sie nicht. Sie hatten zwar ihm gegenüber einen Eid geschworen, doch behandelte er sie wie Brüder. Es war nicht sein Entscheid, es war ein gemeinsamer. Sie waren sich alle einig, dass Singularitäts Zeit gekommen war. Niemand schien sich gegen ihn zu wehren, alle hatten seine Regentschaft akzeptiert, alle bis auf diese fünf Imperatoren.
Singularität war so übermächtig, dass er nicht mehr taktisch vorzugehen brauchte. Seine Flotte stand jederzeit drohend bei seinem Hauptplaneten. Ein Signal, eine Nachricht an alle die sich ihm zu widersetzen wagten. Die einzige Chance, welche die Guardians hatten, war ein Überraschungsangriff. Taktische Überlegenheit, Unordnung, Chaos, ohne Reaktionsmöglichkeit. Wäre die Verteidigung in der Lage sich zu formieren, wäre ein Scheitern unvermeidlich. Schnell war deshalb klar, dass der Angriff nachts starten musste, wenn die Mehrheit der feindlichen Piloten in den weiten der Traumwelten verloren waren. Um trotz dieser unzeitigen Aktion die eigene Wirtschaft nicht zu beeinträchtigen, war ein Feiertag ideal und glücklicherweise war Karfreitag nur noch knapp eine Woche entfernt. Ausserdem waren die Kapazitäten der eigenen Flotten noch begrenzt und an Karfreitag startete die universell durchgesetzte Waffenruhe, welche die nach dem Angriff zum Bersten gefüllten Speicher schützen würde. Eine Diskussion war deshalb hinfällig, der Zeitpunkt war klar, am frühen Morgen des Karfreitags sollte es soweit sein.
Zwei Tage davor dann die Hiobs-Botschaft… «Singularität hat einen Wächter engagiert!». Alingujin, Singularitäts Heimat, wurde nun rund um die Uhr bewacht, eine Überraschung verunmöglicht, ein Angriff aussichtslos. Alle Entschlossenheit war verloren, die Wecker blieben stumm.
Kapitel 2 – Am Kreuz
Zwei Wochen später gab es dann für vier der fünf kein frühes, sondern ein böses Erwachen. Mit hängenden Schultern standen sie nebeneinander auf dem 15. Planeten, Drax’ Heimat. Vor ihnen die Nachwehen eines Schlachtfelds. Nicht mehr verwendbare Trümmer wurden genauso zusammengesammelt wie die Überbleibsel deren Piloten. Eine Wüste war der Planet schon immer, doch nun dominierte statt dem leuchtenden Gelb-Orange ein dunkles Schwarz. Von unwirtlich zu unbewohnbar in einem Abend. Doch was die vier trotz diesem katastrophalen Szenario am meisten traf, war der Anblick der sich ihnen auf dem gegenüberliegenden Hügel bot. Der höchste Punkt des Hügels war durch ein mehrere Meter grosses Kreuz markiert, das Holz blank, unbearbeitet, ungefärbt, abgesehen von den rotschwarzen Linien aus getrocknetem Blut. Ans Kreuz genagelt eine Person, geschlagen, erniedrigt, tot. Drax.
Im selben Zeitraum hörte man immer wieder, dass Alingujin vernachlässigt sei. Der Wächter sei öfters bekifft oder schlicht abwesend. Wenn Singularitätsflotte in Alarmbereitschaft war, dann nur um selbst Beutezüge zu fliegen. Nach Drax waren die nächsten Opfer Merry und Laceylee. Einer nach dem anderen musste Singularitäts Stärke klein beigeben. Aber wenn seine Flotte zurückkehrte, dann wurden die Schiffe eilig durch die Piloten gelandet, damit sich diese in überschwänglichen Partys besaufen konnten. Alle Schiffe wurden fahrlässig noch direkt auf den Landeplätzen abgestellt, die alltägliche Logistik wurde zur Herausforderung, ein spontanes Aufsteigen nahezu unmöglich.
So trafen sich die verbliebenen vier Mitglieder der GoZ erneut. Seit dem letzten Mal hatten sich ihre Flotten und ihre Infrastruktur stark verbessert. Zelos war nun nicht mehr länger nur der Schützling, auch er konnte einen zwar kleineren, aber nicht vernachlässigbaren Teil beisteuern. Ausserdem wurden in den vergangenen Wochen die Transporter massiv aufgestockt, so dass sie nicht mehr auf einen Feiertag angewiesen waren. Ein neuer Plan wurde geschmiedet, ein neuer Zeitpunkt vereinbart. Und wenige Tage später, beim ersten Sonnenlicht, klingelten die Wecker.
Kapitel 3 – Auferstehung
Zelos drückte den «Electrical Master», sofort erhellte sich das ganze Schiff. Gleich daneben der «Avionics Master», nun fuhren alle Instrumente hoch, das Schiff begann zu leben. Als drittes auch noch den «Engine Master» auf on. Nun die Kontrolle der Instrumente, Schub auf null, Treibstoffventile offen, Treibstuffpumpe an. Eine Sekunde schwebte sein Finger über der Zündung, einer seiner Lieblingsmomente des Starts. Der Finger fuhr hinunter und sofort bebte das gesamte Schiff, eine Energie durchfuhr jedes Besatzungsmitglied und machte ohne Worte klar, wozu das Ding im Stand war. Wozu es gebaut war, wonach es lechzte. Ob der Zelos Fighter nach seinem Piloten benannt war oder umgekehrt, wusste schon lange niemand mehr, zu sehr waren sie Eins geworden. Geboren und gebaut für den Kampf, für die Schlacht.
Ein weiterer Kontrollblick verrieten, dass Öl-Temperatur und -Druck im grünen Bereich waren und auch alle Instrumente die richtigen Werte anzeigten. Es folgte Zelos’ zweiter Lieblingsmoment beim Start: Er schob den Hebel nach vorne und sah zu, wie die Formation immer weiter nach oben stieg.
Nicht weit davon entfernt, auf Planeten von GrooT und Rush geschah genau dasselbe. Im Gegensatz zu Zelos waren sie verantwortungsbewusster und übten auf den Brücken gewissenhaft ihre Rollen als Generäle aus, statt selbst zu steuern. Unabhängig davon, war allen ein Ziel gemeinsam und so drehten sich drei Flotten in Richtung Alingujin.
«Leuts also zum Abschied winken könntet ihr ja schon», schallte es durch die Kommunikationskanäle. Achja, die GoZ war ja zu viert. Da war noch einer. Schon halb vergessen blieb Ronan zurück und guckte zu wie sich die anderen entfernten. Trotz der Nachlässigkeit von Singularität, war bei jedem Angriff auf die VeV Vorsicht geboten. Auch wenn alles nach einem Sieg aussah, gerade wenn alles nach einem Sieg aussah, konnte es genauso gut eine Falle sein, was nach Drax weitere Verluste bedeuten würde. Um dies zu verhindern, stand Ronan bereit. Er würde verteidigen, was es zu verteidigen galt, sollte die VeV zum Gegenschlag ausholen. Auch wenn er nicht direkt am Kampf beteiligt war, so nahm er GrooT, Rush und Zelos eine ungemeine Last ab. Er war die Versicherung, der Rückhalt. Sie wussten, wenn es schief gehen sollte, dann war da ein Netz, das sie auffangen würde. Nur so konnten sie sich ohne Angst und mit voller Konzentration auf das Bevorstehende konzentrieren. Ausserdem war Ronan dafür verantwortlich, nach der Schlacht Singularitäts Speicher zu leeren.
«Tritium bereitgestellt, Kryptoscan initiiert. Keine feindlichen Flotten sichtbar.»
Man hätte meinen können, es sei Routine. Ohne Emotionen wurden die Ankündigungen durchgegeben und entgegengenommen. Doch egal wie oft dieses Szenario schon durchgespielt wurde, an diesem Morgen schlugen alle Herzen höher. Unbemerkt, versteckt hinter einer Mischung aus Gewohnheit, militärischem Drill und Schauspielkünsten.
«Raketen gestartet. EMP erfolgreich, Flottenkontrolle deaktiviert. Spionagesonde unterwegs.»
Die Definition der Sekunde schien in dem Moment aufgehoben, Zeit war nicht mehr greifbar, die Relativitätstheorie aufgehoben.
«Er steht.»
Nun brachen die Emotionen durch. Eine Ära zu Ende. Die Flotte Singularitäts stand kurz vor der Vernichtung.
«Für Drax», sprach Zelos ins Mikrophon.
«Für Merry.», «Für Laceylee.» schallte es zurück.
Und auch Ronan liess es sich nicht nehmen, auch er gehörte dazu: «Für Andromeda.»